US National Security Strategy: Von der Monroe - zur Donroe Doktrin

© Dr. Robert Lessmann • 19. Dezember 2025

Seit ihrer Veröffentlichung am 4. Dezember wird Donald Trumps National Security Strategy in Europa beleidigt kommentiert. Ob man sie auch gelesen hat? Besonders der Abschnitt zu Lateinamerika, der mit "Western Hemisphere: The Trump Corollary to the Monroe Doctrine" überschrieben ist, hat es in sich.

Aus europäischer Sicht mag man darüber spekulieren, ob der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Trumpschen National Security Strategy am 4.12. mit der dreistelligen Millionenstrafe gegen Elon Musks Plattform X (verkündet am 5.12.) durch die Europäische Union zu tun hat. Eine ähnliche Strafe hat es ja bereits im September gegen Google gegeben. Weitere Verfahren gegen US Tech-Giganten – eine Kapitalfraktion, deren Eigentümer zu den reichsten Männern der Welt und den wichtigsten Unterstützern von The Donald gehören – sind in Brüssel anhängig. Vorwürfe über Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Demokratie werden als Umkehr der Tatsachen wahrgenommen und zurückgewiesen, denn sie finden ja gerade unter der Trump-Regierung statt sowie bei deren besonders engen Freunden in Europa. Eine Überempfindlichkeit angesichts der globalen Reichweite des gesamten Papiers einerseits und seiner begrenzten praktisch-politischen Bedeutung als Richtschnur andererseits? National Security Strategies hat es schon viele gegeben: G.W. Bush 2002 und 2006, Obama 2010 und 2015, Trump I 2017, Biden 2021 und 2022. Eine zunehmende Häufigkeit im 21. Jahrhundert mag mit der Volatilität der Weltlage zusammenhängen. Die vorliegende Strategy ist mit 33 Seiten – inklusive Deckblatt und Vorwort – vergleichsweise sehr kurz und pamphlethaft.

Seit dem unverschämten Auftritt von Vizepräsident Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar sind die Vorwürfe an Europa ja hinlänglich bekannt. Nun hat man es auch noch schwarz auf weiß. Von wirtschaftlichem Niedergang, dem Verlust von Selbstvertrauen und der "starken Gefahr einer zivilisatorischen Auslöschung“ ist da die Rede. Es sei fraglich, ob Europa ein verlässlicher Verbündeter bleibe. Im Zentrum der Kritik steht in der Tat die Europäische Union mit ihrer Regulierungswut sowie multilaterale Regulierungen überhaupt: „The larger issues facing Europe include activities of the European Union and other transnational bodies that undermine political liberty and sovereignty, migration policies that are transforming the continent and creating strife.“ Schon einleitend heißt es unter ‚Prinzipien‘: „We will oppose elite-driven, anti-democratic restrictions of core liberties in Europe, the Anglosphere, and the rest of the democratic world, especially among our allies.“ Und: „We reject the disastrous ‚climate change‘ and ‚Net Zero‘ ideologies that have so greatly harmed Europe, threaten the United States, and subsidize our adversaries.“ Eine Scheidungsurkunde also, wie manche Kommentatoren meinen? Schlimmer! Ein Adoptionsangebot, verbunden mit einer Kriegserklärung gegen universelle Werte wie Menschenrechte, Gewaltenteilung, Demokratie und Rechtsstaat sowie ihre multilateralen Wächter.

Europa: „Promoting European Greatness“ 
Nach allgemeinen Darlegungen zu Zielen, Prinzipien, Strategien und Werkzeugen folgen in der zweiten Hälfte des Papiers die Weltregionen. Der Abschnitt zu Europa ist mit ‚Förderung seiner Größe‘ überschrieben, was wohl nicht als Ausdehnung des Gebiets zu verstehen ist, sondern im Sinne von Großartigkeit. Europa bleibe „strategically and culturally vital to the United States“. Europa abzuschreiben wäre selbstzerstörerisch. Und: „…the growing influence of patriotic European parties indeed gives cause of great optimism.“ Elon Musks offensive Parteinahme für die deutsche AfD im Wahlkampf kommt da in Erinnerung. Angestrebt ist demnach eine Partnerschaft mit einem Europa der Orbans und Ficos, der AfD und der FPÖ, der PiS, der VOX und des Rassemblement National. Übrigens: Russland wird nur in zwei Absätzen mit seinem Verhältnis zu Europa erwähnt, ansonsten in der ganzen Strategie nicht. In der Tat steht Putin weltanschaulich und gesellschaftspolitisch Trump ja näher als etwa Macron, Starmer oder Sánchez. Beider Denken geht mitunter hinter die Aufklärung zurück. Russland erscheint als wirtschaftlich irrelevant und als keine strategische Bedrohung wahrgenommen zu werden. 

Die Vision: Eine Welt souveräner Nationalstaaten unter einem starken Führer
Auch ansonsten gibt es große Übereinstimmungen in Weltsicht und Selbstbild, angefangen mit der Selbstüberhöhung. Idealbild ist, ähnlich wie bei den Identitären, eine Welt souveräner und kulturell homogener Nationen, die konkurrieren und kooperieren, frei von supranationalen Regulierungen und nach dem Gesetz des Stärkeren. Eine solche Ordnung der Welt sei gottgegeben, Multilateralismus erscheint implizit quasi als Teufelswerk. Die gesamte Strategie ist vom Gedanken an eine natur- oder gottgegebene Überlegenheit der USA als gods own country oder manifest destiny durchtränkt, die teilweise wiederhergestellt werden müsse. An verschiedenen Stellen beruft sie sich auf Gott. Noch häufiger erscheint der Name Trump. „Over the past nine months, we have brought our nation – and the world – back from the brink of catastrophe and disaster. After four years of weakness, extremism, and deadly failures, my administration has moved with urgency and historic speed to restore American strength at home and abroad, and bring peace and stability to our world.
No administration in history has achieved so dramatic a turnaround in so short a time. (…)
„America is strong and respected again – and because of that, we are making peace all over the world.“ So messianisch beginnt das Vorwort des Präsidenten.

Von Russland war bereits die Rede. Einen weiteren Hinweis auf geopolitische Gewichtungen gibt die Länge der jeweiligen Kapitel, wobei Europa mit zweieinhalb Seiten nach Asien und Lateinamerika erst an dritter Stelle kommt, vor Nahost mit zwei und Afrika mit einer halben Seite. Der Nahe Osten erscheint als eine von der Trump-Administration weithin befriedete Region, wo auf der arabischen Halbinsel exzellente Geschäfte winken. Die Rede ist tatsächlich von Frieden, nicht von einem fragilen Waffenstillstand, der täglich gebrochen wird und Todesopfer fordert. Die jeweiligen Regierungs- und Gesellschaftssysteme und ihre Entwicklung solle man dort sich selbst überlassen – im Gegensatz zu Lateinamerika, aber dazu später. Reformen könne man freilich begrüßen. Das gilt auch für die Menschenrechte und offenbar auch für Herrscher, die kritische Journalisten foltern und ermorden lassen. 

Als geopolitischer roter Faden zieht sich die Eindämmung Chinas durch das ganze Dokument, nicht zuletzt durch das mit sechs Seiten längste, das Asienkapitel. Hier geht es um Marktanteile, legitimen oder unlauteren Wettbewerb und in geostrategischer Hinsicht um die freie Schifffahrt nicht nur im Südchinesischen Meer und um Taiwan, wobei auch hier die Verbündeten einen größeren Eigenbeitrag leisten müssten. Als solche werden ausdrücklich Europa, Japan, Korea, Australien, Kanada und Mexiko genannt. Indien solle hinzugewonnen werden. Um die Zurückdrängung Chinas geht es auch im zweitlängsten Kapitel, dem zu Lateinamerika:

„Western Hemisphere: The Trump Corollary to the Monroe Doctrine“
Die Überschrift lässt keinen Zweifel daran, worum es geht. Die Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823 definierte Lateinamerika als exklusive Einflusszone der USA und war – keine fünfzig Jahre nach der eigenen Unabhängigkeitserklärung – gegen die europäischen Kolonialmächte gerichtet. Mit der Roosevelt-Corollary (Zusatz) von 1904 behielt sich Washington eine Schiedsrichterrolle bei inneramerikanischen Konflikten und ein exklusives Interventionsrecht vor, wie es bereits in der ersten Verfassung Kubas von 1902 festgeschrieben worden war, das nach dem Sieg im Spanisch-Amerikanischen Krieg den USA zugefallen war.

Die Überschrift des Lateinamerika-Kapitels unterstreicht, dass man an diese Tradition anknüpfen will, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Fortsetzung in der containment policy fand, der Eindämmung des „Kommunismus“ - und nach der Revolution von 1959 vor allem Kubas. Unter Marco Rubio, dem Außenminister mit kubanischen Wurzeln, geht es mit anderen Begrifflichkeiten weiterhin darum, vordergründig jedoch um Sicherheit. Nicht im Sinne einer Invasion fremder Truppen über die südliche Landesgrenze, sondern um Migration und Drogen. Darüber hinaus und vor allen Dingen aber geht es um die Zurückdrängung Chinas, den Zugriff auf Rohstoffe und die Schwächung unliebsamer Regierungen, die diesen erschweren. „After years of neglect, the United States will reassert and enforce the Monroe Doctrine to restore American preeminence in the Western Hemisphere, and to protect our homeland and our access to key geographies throughout the region. We will deny non-Hemispheric competitors the ability to position forces or other threatening capabilities, or to own or control strategically vital assets, in our Hemisphere. This ‚Trump Corollary‘ to the Monroe Doctrine is a common-sense and potent restoration of American power and priorities, consistent with American security interests.“

Dass auswärtige Wettbewerber, zum wirtschaftlichen und strategischen Nachteil der USA, bedeutenden Zutritt zur Region gewinnen konnten, ohne dass sie ernsthaft zurückgedrängt wurden, sei ein großer strategischer Fehler gewesen. „The terms of our alliances, and the terms upon which we provide any kind of aid must be contingent on winding down adversarial outside influence – from control of military installations, ports, and key infrastructure to the purchase of strategic assets broadly defined.“ Die Botschaften der USA sollen sich der Förderung von Geschäftskontakten widmen. „At the same time, we should make every effort to push out foreign companies that build infrastructure in the region.“ Das bezieht sich wohl insbesondere auf den neuen Megahafen in Callao bei Lima in Peru, der von der chinesischen COSCO gebaut und unlängst eröffnet wurde.

Die USA wollen Partner „erster Wahl“ sein … „and will (through various means) discourage their collaboration with others.“ Die Länder der Hemisphäre hätten die Wahl zwischen einer „American-led world of souvereign countries and free economies or a parallel one in which they are influenced by countries on the other side of the world.“

Unter anderem solle auch die Militärpräsenz überdacht werden, was bedeute:
„A readjustment of our global military presence to adress urgent threats in our Hemisphere, especially the missions identified in this strategy, and away from theaters whose relative import to American national security has declined in recent decades or years." (Anm. R.L.: siehe die Verlegung der USS Gerald Ford, des größten US Flugzeugträgers, vom Mittelmeer in die Karibik.)
(…) „Targeted deployments to secure the border and defeat cartels, including where necessary the use of lethal force to replace the failed law enforcement -only strategy of the last several decades; and
Establishing or expanding access in startegically important locations.“

Bereits im einleitenden Teil des Strategiepapiers wird unter ‚Prinzipien‘ deutlich gemacht, dass zwar die Gründerväter in der Unabhängigkeitserklärung den Vorzug für Interventionsverzicht niedergelegt hätten. Aber: „For a country, whose interests are numerous and diverse as ours, rigid adherence to non-interventionism is not possible.“ 

Die ersten Monate der Trump-Administration gaben reichlich Beispiele dafür, wie man sich das in der Praxis vorzustellen hat: Vom Druck auf die Regierung Panamas, weil ein chinesisches Unternehmen den Ausgang des Panama-Kanals kontrolliere;
über Interventionsdrohungen gegen die Regierung Claudia Sheinbaum in Mexiko, damit diese Grenzkontrollen und Drogenbekämpfung intensivieren und militarisieren solle;
zu Bestrebungen, den Luftwaffenstützpunkt Manta in Ecuador wieder zu nutzen (was bei einem Referendum von der Wählerschaft zurückgewiesen wurde);
über die flagranten Einmischungen in die brasilianische Justiz im Fall des Putschisten Jair Bolsonaro und in die Wahlen in Honduras;
bis zum beispiellosen Militäraufmarsch vor der Küste Venezuelas und der Versenkung angeblicher Drogenschnellboote auf offener See, die rein gar nichts zur Linderung der Drogenprobleme in den USA beitragen wird.

Letztere bezeichnet der UNO Hochkommissar für Menschenrechte als völkerrechtswidrig und der UN Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Terrorismus, der australische Völkerrechtler Professor Ben Saul, spricht von Mord, weil weder eine militärische, noch eine terroristische Bedrohung und schon gar kein Krieg – also auch kein Kriegsverbrechen – vorliege. „Legalität ist eine Machtfrage“ hat Ulrike Meinhof gesagt. Ist es zulässig, eine Terroristin zu zitieren? Vielleicht, wenn es um Terrorismus geht, um die Frage, ob es sich – wie von der Trump-Administration behauptet – um „Narcoterrorismus“ handelt oder um „Staatsterrorismus“.

Es muss nicht wirklich verwundern, wenn bei schwierigeren Bedingungen für die Kapitalakkumulation, schärferer Weltmarktkonkurrenz, knappen Rohstoffen und multiplen Krisen Vernunft und gute Sitten über Bord geworfen werden, wenn bellizistische Rhetorik üblich wird, wenn Völker- und Menschenrecht dem Feuilleton überlassen bleiben. Bemerkenswert ist, dass es sich im vorliegenden Papier vielfach um die pseudo-konzeptionelle Untermauerung der realen politischen Praxis handelt, statt um eine Strategie für die Zukunft. Mehr als alles andere wird die Großartigkeit der Vereinigten Staaten und ihres aktuellen Präsidenten beschworen.

Anders als im vorliegenden Dokument stehen sich im realen Leben nicht einfach Nationalstaaten gegenüber. Noch gibt es auch in den Vereinigten Staaten eine Opposition, zivilgesellschaftliche Organisationen, unterschiedliche veröffentlichte Meinungen. Der diesseits des Atlantiks üblich gewordene Kotau gegenüber Trump und seiner Regierung ist nicht einfach nur peinlich. Er lässt ihn zuhause erfolgreich dastehen und stärkt ihm den Rücken gegenüber seinen Kritikern.

Ob die Lateinamerikaner – Progressisten oder Konservative – von der ihnen zugedachten Rolle als Arena des Ringens zweier Großmächte oder schlicht als Untergebene begeistert sein werden? Bisher gibt es kaum Reaktionen. 

Interessant ist ferner, was nicht in der Strategie steht: Von einer Einverleibung Kanadas ist so wenig die Rede wie vom Kauf Grönlands. Übrigens: Es gibt auch durchaus richtige Wahrnehmungen und bedenkenswerte Einschätzungen in dem Dokument, das einmal mehr Einblick in die Denkweise seiner Väter gibt. Die darin zum Ausdruck gebrachte Weltsicht ist gefährlich anachronistisch.
 
https://www.whitehouse.gov/up-content/uploads/2025/2025-National-Security-Strategy.pdf