Vereinte Nationen: UNO in Not
Robert Lessmann Dr • 6. Juni 2025
Achtzig Jahre nach ihrer Gründung steht die Weltorganisation durch die Mittelkürzungen der Trump-Regierung unter gewaltigem Druck. Das geschieht just zu einem Zeitpunkt, wo sie sich emanzipiert und zu ganzheitlicherem Denken findet. Auch Lateinamerika wird betroffen sein und ihre in der Wiener UNO-City ansässigen Unterorganisationen. Die Generaldirektorin des Büros der Vereinten Nationen in Wien, Ghada Waly, trat am 30. Mai überraschend zurück.

Antonio Guterres muss sparen. Bei einem derzeitigen Haushalt von 3,26 Milliarden (Mrd.) € (3,7 Mrd. USD) will der UNO-Generalsekretär 15-20 Prozent einsparen. Allein im Sekretariat könnten 20 Prozent der Stellen wegfallen. Einzelne Unterorganisationen und Programme verfügen über gesonderte, oft erheblich höhere Budgets, doch auch sie sind von Kürzungen betroffen. Insgesamt könnten 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sein. Besondere Gefahr besteht für Einzelorganisationen wie das Flüchtlings- und das Palästinenserhilfswerk (UNHCR und UNRWA), die in Washington besonders ungeliebt sind. Aus der Weltgesundheitsorganisation WHO sind die Vereinigten Staaten gerade wieder ausgetreten; aus der UNESCO (Erziehung, Wissenschaft und Kultur) und dem UNHCHR (Menschenrechte) sind sie unter Trump aus- und unter Biden wieder beigetreten. Dabei sind die Vereinten Nationen wegen notorisch überfälliger Beitragszahlungen ohnehin unter Druck. So waren die USA als wichtigster Geber zum 1.1.2025 mit 1,5 Mrd. USD in Verzug. Der inzwischen zweitwichtigste Geber, China, zahlt auch immer erst zum Jahresende. Angesichts der drängenden Probleme (Kriege, Konflikte, Klima) sind eine regelbasierte Weltordnung und multilaterales Handeln wichtiger denn je. Aber gerade sie sind ein Hindernis für Großmachtambitionen – und Reaktionären in ihrem Kulturkampf seit eh und je ein Dorn im Auge. Der Schweizer Unternehmer Christoph Blocher (Schweizerische Volkspartei) nannte die UNO in Ablehnung eines Beitritts (der dann 2002 doch erfolgte) bereits in den 1980er Jahren einen Hort des Kommunismus. Die USA, China und Russland haben den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nie anerkannt und missachten seine Urteile, was nicht verwundert, verfolgen diese drei ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats in ihrer Außenpolitik doch expansionistische Ziele.
Ganzheitliche Analysen und Nachhaltigkeit
Mit den 2015 verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungszielen (auch Agenda 2030) legen die Vereinten Nationen schon seit zehn Jahren mehr Wert auf ressortübergreifende Ansätze und Nachhaltigkeit. Soeben (20.5.2025) ist beim in Wien ansässigen Büro für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ein Bericht erschienen: „Minerals Crime: Illegal Gold Mining“, als Teil einer in Arbeit befindlichen Globalanalyse von Verbrechen, die die Umwelt schädigen. Bereits der World Drug Report 2023
hatte ein ganzes Kapitel 4 der Verschränkung krimineller Aktivitäten und der Umweltzerstörung in Amazonien gewidmet. (Wir berichteten an dieser Stelle: „Amazoniens Unterwelt“, 26. November 2024, robert-lessmann.com/amazoniens-unterwelt/)
Gleich fünf UNO-Unterorganisationen erarbeiteten einen Bericht über Ernährungsunsicherheit in Lateinamerika und der Karibik, der bereits 2024 erschienen ist.* Demnach ist die Region nach Asien am meisten von der Klimakrise betroffen. Unmittelbare Folgen sind Extremwetterereignisse und sinkende landwirtschaftliche Produktivität. Soziale Ungleichheit komme als verschärfender Faktor hinzu. Im Jahr 2023 waren 41 Millionen Menschen in der Region von Hunger betroffen; eine besonders starke Zunahme sei in der Karibik festzustellen. 187,6 Millionen Personen leiden unter Ernährungsunsicherheit, eines von zehn Kindern unter fünf Jahren leidet an Mangelernährung. Paradoxerweise gehen Unterernährung und Übergewicht miteinander einher, sagt Karin Hulshof, die Regionaldirektorin von UNICEF für Lateinamerika und die Karibik. Das Recht von Frauen und Kindern auf Nahrung müsse bei allen Entscheidungen zur Klimapolitik Priorität haben, fordert sie. Im Jahr 2022 waren weltweit 5,6 Prozent der Kinder unter fünf Jahren von Übergewicht betroffen. In Lateinamerika waren es 8,6 Prozent. Die Hälfte der Bevölkerung in der Karibik könne sich keine gesunde und ausgewogene Ernährung leisten, in Mittelamerika seien es 26,3 Prozent und in Lateinamerika 26 Prozent. Laut FAO müsse die Landwirtschaft klimaresilienter werden, damit sie zunehmende Herausforderungen durch den Klimawandel und Extremwetterereignisse besser überstehen kann.
Ein Bericht des UN-Weltentwicklungsprogramms (UNDP) vom Jänner 2025 analysiert ebenfalls Probleme durch den Klimawandel, geringe Produktivität, schwaches Wirtschaftswachstum, strukturelle Ungleichheit sowie Vertrauensverlust in Politik und Institutionen. Schon bald müsse man in vielen Ländern Lateinamerikas und der Karibik mit Wasserknappheit rechnen und bis zum Jahr 2080 mit einer schweren Wasserkrise. Das UNDP empfiehlt unter anderem Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Technologie. Politische Entscheidungen – zum Beispiel in Argentinien – gehen in eine andere Richtung.
Von Seepferdchen und dem Kokain der Meere: Wildlife Crime Report 2024
Auch ein halbes Jahrhundert nach Inkrafttreten des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES, verabschiedet 1973; heute 184 Unterzeichnerstaaten) sind viele Tier- und Pflanzenarten gefährdet oder vom Aussterben betroffen. Nur wenige Bereiche, wie Elfenbein und Nashorn, genießen globale Aufmerksamkeit. Andere Arten, wie akut vom Aussterben bedrohte Orchideen, werden kaum beachtet. In Südamerika liegen die gravierendsten Probleme im Bereich von Tropenhölzern, wie Großbeschlagnahmungen zeigen. Auch hier weist der Bericht auf gefährliche Verschränkungen verschiedener krimineller Sektoren hin, im konkreten Fall mit dem Drogenhandel und dem illegalen Goldabbau.
Auch eine soziale Sensibilität greift Platz, die man sich in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Kokaanbau, auch längst gewünscht hätte. So sind Seepferdchen ein nicht zu unterschätzender illegaler Exportartikel Perus für Aquarien oder getrocknet (nach Asien, etwa Thailand oder die Philippinen). Peru ist übrigens die drittgrößte Fischereination nach China und Indonesien. Die Seepferdchen kommen meist tot oder sterbend als Beifang. Die Illegalität beginnt mit der Anlandung. Fischer sehen den Seepferdchen-Beifang als eine Art Bonus und wissen meist gar nicht, dass ihr Tun illegal ist. Sie wieder in die See zu werfen erscheint so sinnlos wie eine Bestrafung für das unabsichtliche Werk der kleinen Fischer. Illegal ist in Peru aber das Fischen mit Schleppnetzen innerhalb der Fünfmeilenzone, wo die meisten Seepferdchen hängen bleiben dürften. Gute Geschäfte machen Aufkäufer und Händler. Davon zeugen einzelne Beschlagnahmungen im Bereich von mehreren hundert Kilogramm. Im Jahr 2017 wurden 900 kg in Vietnam in einem Container aus Peru beschlagnahmt. Im September 2019 waren es 1.043 kg getrocknete Seepferdchen in einem Schiff vor der peruanischen Küste.
Besonders kurios ist die Symbiose von Drogenexport und der illegalen Fischerei durch Mitglieder mexikanischer Drogenorganisationen. Ursprünglich ein willkommenes Zubrot beim Drogentransit, entdeckte man mit der Schwimmblase eines vom Aussterben bedrohten Fisches (Totoaba) das „Kokain der Meere.** Die Fischer erhalten dafür pro Kilo zwischen 500 und 3.000 USD. In China, wo sie in Suppen, in der traditionellen Medizin oder sogar als Wertanlage verwendet wird, kann man 80.000 USD erzielen.
Washington isoliert
Von einem Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Drogenpolitik spricht Ann Fordham, Direktorin der NGO International Drug Policy Consortium
(IDPC): Mit 30 Stimmen, 18 Enthaltungen und drei Gegenstimmen (Argentinien, Russland und die USA) nahmen die Delegierten der 68. Commission on Narcotic Drugs
(CND) des Wirtschafts- und Sozialrates der UN, die im März diesen Jahres in der Wiener UNO-City stattfand, eine unter Federführung Kolumbiens eingebrachte Resolution an, die die Einrichtung einer 19-köpfigen Expertengruppe vorsieht, um das Regelwerk der internationalen Drogenkontrolle zu überdenken und „to prepare a clear, specific, and actionable set of recommendations aimed at enhancing the implementation of the three drug conventions, as well as the obligation of all relevant international instruments, and the achievement of all international drug policy commitments.“ Zehn Mitglieder bestimmt die CND, fünf der Generalsekretär und drei das International Narcotics Control Board (INCB, der UN Suchtstoffkontrollrat zur Überwachung der Einhaltung der drei UN-Drogenkonventionen) und eines die Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieser Beschluss reiht sich ein in eine Tendenz der allmählichen Öffnung der internationalen Drogenkontrolle, die ursprünglich fast vollständig von den USA dominiert war. So räumte die UN Sondergeneralversammlung zum Thema Drogen von 2016, bei deren Vorbereitung erstmals andere UN Unterorganisationen, wie die WHO oder das Hochkommissariat für Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Organisationen mitwirkten, größere „Interpretationsspielräume“ bei der Auslegung der drei UN Drogenkonventionen ein, um Desertionen vorzubeugen. NGO-Vertreterinnen machen nicht zuletzt ein „atemberaubend arrogantes Eingangsstatement“ und völlig unflexible Positionen ohne Verhandlungsbereitschaft der US-Delegation für das klare Votum der Delegierten verantwortlich. So wurden China, Kanada und Mexiko entgegen aller Gepflogenheiten direkt angegriffen und für die vielen Überdosis-Toten der US-Opioidkrise verantwortlich gemacht.
Die kolumbianische Botschafterin Laura Gil in ihren Statement: „Alle Kolumbianerinnen und Kolumbianer verstehen und spüren, dass das globale Drogenproblem einen Schatten auf uns alle wirft, und dieses Forum ist eine Einladung, um unter dem Schirm der Konventionen das Prinzip der gemeinsamen und geteilten Verantwortung [für das Drogenproblem R.L.] jetzt und heute zu überdenken. Mein Land hat mehr Menschenleben geopfert als jedes andere in diesem Drogenkrieg, der uns aufgezwungen wurde. (…) Unsere besten Männer und Frauen und ein Löwenanteil unseres Budgets gingen in die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels. Wir brauchen neue und effektivere Mittel um ein globales System zu verwirklichen. Weiter zu machen wie bisher wird zu nichts führen.“
Ob diese Resolution tatsächlich einen Wendepunkt darstellen wird, muss ihre Umsetzung zeigen. Diese könnte, wie andere vielversprechende Ansätze, finanziellen Strangulierungen zum Opfer fallen. Laura Gil, die treibende Kraft dahinter, wurde am 5. Mai zur Stellvertretenden Generalsekretärin der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) gewählt und wird Wien verlassen. In der UNO-City kursieren Gerüchte und Spekulationen darüber, wie es mit den verschiedenen Unterorganisationen, wie etwa dem UNODC, weiter gehen könnte. Bei aller berechtigten Kritik an den Schwächen der Vereinten Nationen: Sie sind nur so stark wie ihre Mitgliedsländer es zulassen. Das Geschäft jener zu betreiben, die sie ohnehin schwächen oder abschaffen wollen, wäre abenteuerlich.
* Food and Agriculture Organization (FAO), Fondo Internacional de Desarrollo Agrícola (FIDA) Organisación Panamericana de Salud (OPS), Programa Mundial de Alimentos (WFP) und UNICEF:
„El Panorama Regional de la Seguridad Alimentaria y la Nutrición 2024“
** Neben dem erwähnten UNODC-Bericht auch: Israel Alvarado Martínez and Aitor Ibáñez Alonso: „Mexican Organized Crime and the Illegal Trade in Totoaba Maw“ in: Organized Crime 24, No. 4, 1st Dec. 2021 (https://doi.org/10.1007/s12117-021-09436-9)