Flying Dutchman: Das drogenpolitische Geisterschiff kreuzt in der Karibik
Robert Lessmann Dr • 27. September 2025
Der Drogenkrieg ist zurück. Obzwar nach Jahrzehnten zuletzt auf dem Rückzug, war er doch nie ganz verschwunden. Nun lässt Captain Trump seine Marine in der Karibik mutmaßliche Drogenschnellboote versenken. Afghanistan, Bolivien, Kolumbien, Myanmar und Venezuela werden keine „certification“ bekommen, was sich bereits abgezeichnet hatte. (Vgl. „Drogen: Kolumbien im Visier“ vom 29.7.2025 in diesem Blog).

Während die eigentliche certification
für drogenpolitisches Wohlverhalten erst im kommenden Frühjahr verkündet wird, ist der Grundlagenbericht dazu bereits fertig und hat insbesondere in Kolumbien Staub aufgewirbelt. Zusammen mit Afghanistan, Bolivien, Myanmar und Venezuela wird dem traditionell engsten Verbündeten der USA in Südamerika bescheinigt, dass er im zurückliegenden Jahr seinen drogenpolitischen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei (demonstrably failed
wie es heißt). Präsident Gustavo Petro protestierte, hat Waffenkäufe eingefroren und beschuldigt Washington, sich in den Wahlkampf einzumischen. Die mit einer decertification
verbundenen Sanktionen wurden aber aus Gründen der nationalen Sicherheit ausgesetzt.
Kurios ist das Verdikt im Fall Afghanistan, das ohnehin Sanktionen unterliegt. Dort steigt zwar die Produktion von Cannabis und Amphetaminen. Der Anbau von Schlafmohn wurde im weltweit wichtigsten Ursprungsland für Heroin von den Taliban aber um 95 Prozent reduziert. Ganz im Gegensatz zu den vorangegangenen 20 Jahren westlicher Sicherheitskooperation unter Führung Washingtons, wo Schlafmohnanbau und Heroinproduktion alljährlich neue Rekordhöhen erreicht hatten. Nebenbei: Für die USA ist Afghanistan drogenpolitisch eher uninteressant. Ihre illegalen Märkte werden aus Lateinamerika beliefert, insbesondere aus Mexiko und Kolumbien.
Auf internationaler Ebene wird das alljährliche Zertifizierungsritual Washingtons schon lange nicht mehr ernst genommen. Pure Symbolpolitik also? Nicht ganz, denn für die Regierung der Vereinigten Staaten ist es ein sehr preiswertes Druckmittel. So nahm die Opposition in Kolumbien den Steilpass aus Washington vor den im Mai 2026 stattfindenden Wahlen dankbar an. Die Linksregierung Gustavo Petro würde den Ruf des Landes ruinieren und ausländische Investitionen gefährden, so etwa die Journalistin und konservative Präkandidatin Vicky Dávila. Das Weiße Haus unterstreicht darüber hinaus, dass sich die Entscheidung ausdrücklich auf die politische Führung des Landes beziehe und lobt die Fähigkeiten und den Mut der kolumbianischen Sicherheitskräfte. US-Außenminister Rubio legte noch nach und nannte Präsident Petro einen „Agenten des Chaos“, seine Politik „irrlichternd“. Zuletzt wurde ihm sogar das Einreisevisum in die USA entzogen. Das renommierte Washington Office on Latin America (WOLA) hingegen kommentierte: Die jahrzehntealte Praxis, andere Staaten durch die certification
für ihre angeblich mangelhafte Drogenpolitik zu beurteilen und zu bestrafen, sei ein antiquiertes, grobschlächtiges und kontraproduktives außenpolitisches Instrument und sollte abgeschafft werden.
Näheres zu den drogenpolitischen Fakten in Kolumbien und den Ursprüngen der certification
im vorangegangenen Beitrag „Drogen: Kolumbien im Visier“.
Kanonenbootpolitik
Der Militäraufmarsch der USA vor der venezolanischen Küste hat inzwischen Gestalt angenommen und zu ersten Opfern geführt. Am 2. September berichtete Präsident Trump auf seinen sozialen Kanälen, im Rahmen einer von ihm selbst ausdrücklich angeordneten Operation sei ein Boot der venezolanischen „Tren de Aragua
narcoterrorists“ versenkt worden. Ein unscharfes Video zeigte, wie ein mit mehreren Personen besetztes Boot in Flammen aufgeht. Stand heute (27.9.) sollen es vier Schnellboote sein. Die Zahl der getöteten Menschen soll inzwischen bei 17 liegen. Nur im letzten Fall wurden anschließend tatsächlich Drogen aus dem Wasser gefischt. Dominikanische Sicherheitskräfte wollen 1.000 Kilogramm Kokain sichergestellt haben.
Nach internationalem Recht handelt es sich dabei jedenfalls um außergerichtliche Tötungen. Gleich der erste, am besten dokumentierte, Fall, wirft Fragen auf. Weder wurden Drogen präsentiert, noch irgendwelche Beweise vorgelegt, dass das Boot für die Organisation „Tren de Aragua“ unterwegs war. Nach Recherchen der investigativ-journalistischen Plattformen „The Intercept“ und „InSight Crime“ war das Boot im venezolanischen Bundesstaat Sucre gestartet und hatte außergewöhnlich viele Personen an Bord. Die Rede ist von 11. Die fragliche Route werde für Schmuggelgut aller Art und auch von Migranten genutzt. Ein Versuch, das Boot zu stoppen und zu beschlagnahmen sowie die Besatzung zu verhaften, wurde nicht unternommen, obwohl es nach Darstellung des Außenministers Marco Rubio möglich gewesen wäre. Vielmehr habe es nach einem ersten Angriff umgedreht, sei dann aber durch eine Drohne weiter beschossen worden und in Flammen aufgegangen. WOLA spricht von einer Gruppenexekution auf hoher See. „Polizeiliche Fahndung bringt nichts“, sagte Marco Rubio dazu auf einer Pressekonferenz in Mexiko: „Was sie stoppen wird ist, wenn du sie in die Luft jagst.“
Das Vorgehen ist freilich nicht neu und erinnert an die Operation Airbridge Denial. Ab Mitte der 1990er Jahre waren nicht identifizierte Kleinflugzeuge, die im Verdacht standen, das Zwischenprodukt Pasta Básica de Cocaína
aus den Anbaugebieten in Bolivien und Peru zur Weiterverarbeitung nach Kolumbien zu transportieren, zur Landung gezwungen oder notfalls abgeschossen worden. Im April 2001 führte anscheinend ein Kommunikationsfehler zwischen dem US-Aufklärer und dem peruanischen Jäger zum Abschuss einer Cesna mit einer US-Missionarsfamilie an Bord. Zwei Menschen starben und der Congress in Washington stellte Fragen. Das Programm wurde eingestellt. Der Unterschied ist die Unilateralität: Heute sind US-amerikanische Soldaten auch am Abzug.
Zu Recht wird die Begründung kritisiert, es handle sich um eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Der gewinnorientierte Drogenhandel, ein kleines Schnellboot gar, soll eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen? Dieser juristische Winkelzug – also die Definition von organisierten Verbrechern des Drogenhandels zur Terrororganisation – dient dazu, dass man nach US-Recht das Militär gegen sie einsetzen darf. Auch dies ist nicht neu. Die Administrationen der Präsidenten Bush und Obama rechtfertigten mit dem „Krieg gegen den Terror“ außergerichtliche Tötungen von Al Qaeda- und Taliban-Führern. Und Präsident Ronald Reagan argumentierte bereits zu Beginn des Jahres 1986 in einer National Security Decision Directive, Drogen seien zu einer Bedrohung der Nationalen Sicherheit geworden. Das diente damals schon dazu, mit den Anti-Drogen-Gesetzespaketen von 1986 und 1988 das Militär in die Drogenkontrolle einzubeziehen. Zunächst an den US-Außengrenzen (border interdiction), dann auch in den sogenannten Produzentenländern (going to the source). Hohe Militärs wandten damals dagegen ein, sie seien dafür nicht ausgebildet. Search and destroy
sei ihre Aufgabe, nicht Verhaftung und Beweisaufnahme. Wenn man sich das Ausmaß der seitdem angewachsenen Drogenimporte und des Drogenkonsums vor Augen führt, so kann man nur sagen: Die Militarisierung der Drogenkontrolle war ein absoluter Holzweg mit sehr hohen Nebenkosten: Teuer, wirkungslos und mit Verletzungen von Menschenrechten sowie der nationalen Souveränität der betroffenen Länder verbunden.
Mehrere Kriegsschiffe, ein atomgetriebenes U-Boot und insgesamt 4.000 Soldaten sollen am aktuellen Aufmarsch beteiligt sein. Zehn Kampfjets wurden nach Puerto Rico verlegt, einer nach Guyana, das sich im Grenzstreit mit Venezuela befindet. Der venezolanische Präsident Maduro persönlich wird beschuldigt, in den Drogenhandel verstrickt zu sein, ohne dass dafür Beweise vorgelegt wurden. Auf ihn wurde ein Kopfgeld in Höhe von 50 Millionen US Dollar ausgesetzt. Venezuela mobilisierte seine Reservisten, und Maduro 2.500 Soldaten und 12 Kriegsschiffe zu einer Militärübung Operation Souveräne Karibik 200, erklärte aber gleichzeitig seine Gesprächsbereitschaft. Der frühere Chef des US Southern Command, General James Stavridis, fand klare Worte: „Gunboat diplomacy is back, and it can work.“ Die Regierungen Mexikos, Kolumbiens und Brasiliens warnten vor der Gefahr einer militärischen Konfrontation.
Der sagenhafte fliegende Holländer ist dazu verdammt, ewig die Meere zu durchsegeln ohne jemals einen Hafen (ein Ziel) zu erreichen. Die europäischen Verbündeten haben in der Vergangenheit stets alle drogenpolitischen Absurditäten Washingtons und andere außenpolitische Abenteuer (stillschweigend) mitgetragen. Kann der politische Wiedergänger und derzeitige Kapitän des Geisterschiffs auch heute darauf bauen?
